RBG Langenau

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Die letztjährigen Abiturienten spenden für Arequipa

Nach dem Begleichen der letzten Rechnung bleiben auf dem Abiturjahrgangskonto mehr als 3000 € übrig. Gemeinsam haben sich die ehemaligen Abiturienten dazu entschieden das Geld zu spenden. Das Ziel der Unterstützung ist Arequipa in Peru. Dort wird vom RBG und dem Charity-Ausschuss der SMV ein Schul- und Ernährungsprojekt der Organisation Evivo begleitet.

Arequipa 2018 1Lynn, Abiturientin des RBGs und für dieses Jahr FSJlerin in Arequipa, und ihre Mitfreiwillige Paulina, haben über den schlechten Zustand der Zähne der Kinder bei Evivo geklagt. Mit Hilfe ihrer Mentorin, haben Lynn und Paulina ein weiterführendes Projekt in die Wege geleitet: Angehende Zahnärzte aus Arequipa bieten die kostenlose Behandlung an – die Kosten der Medikamente müssen aber von den Familien gedeckt werden.
Das gespendete Geld soll gezielt dafür eingesetzt werden.

Ein Esszimmer für 60 Kinder

Arequipa/Peru Das Land der Inkas und der bunten Feste zählt zu den ärmsten Ländern - Wir begleiten zwei deutsche Freiwillige bei ihrer täglichen Arbeit in den ärmsten Vierteln der Welt

Nacheinander drängen die Kinder der Grundschule in den Raum der Essensausgabe. Es ist 13.30 Uhr und sie kommen direkt von der Schule. Es wird  augenblicklich laut in dem kleinen Raum von circa 30 Quadratmetern. In einer Ecke landen die Schultaschen, ein bunter Haufen. Rund 60 Kinder aus dem ärmsten Viertel „La Mansion“ in Arequipa, finden sich hier fünfmal die Woche für ein warmes Mittagessen ein.

Arequipa ist die zweitgrößte Stadt des lateinamerikanischen Landes Peru. Die Stadt liegt im Süden des Anden-Staates und stellt auch das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Region dar. Seit 2001 ist Peru ein demokratischer Staat und auf dem Weg sich von den Jahren der Diktatur und des Terrors zu erholen. Dennoch: Die ländliche Bevölkerung lebt nach wie vor in großer Armut. Knapp 22,7 Prozent leben 2016 unter der Armutsgrenze. Das bedeutet ein Einkommen unter 1,9 Dollar am Tag. Der Erwerb aller lebensnotwendigen Ressourcen ist nicht möglich.

Viele inländische Initiativen versuchen der Armut entgegen zu wirken. Dabei erhält Peru aber auch finanzielle Unterstützung aus dem Ausland. Die deutsche nichtstaatliche Organisation „evivo“ hilft vor Ort. Sie fördert das Ernährungsprojekt „Pueblo sin hambre“ (Volk ohne Hunger) seit 2008. Nach Peru, Arequipa werden jährlich zwei junge Erwachsene entsandt, die dort ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren. Die zwei Freiwilligen Paulina und Lynn haben letztes Jahr die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und sind dieses Jahr vor Ort, bevor sie dann nächstes Jahr ihr Studium beginnen möchten.

Zu den Aufgabenfeldern von Paulina und Lynn gehört die Unterstützung im „Comedor“ in dem ärmsten Viertel La Mansion. Comedor ist das spanische Wort für Esszimmer. Die Eltern der Kinder ziehen das Projekt weitgehend selbstverwaltend durch. Zu Beginn der Woche wird ein Essensplan erstellt und das Nötige eingekauft. Das Geld für den Einkauf kommt von evivo. Jedoch müssen die Familien pro Kind und jede Woche 700 Gramm Kartoffeln, 200 Gramm Möhren, 1 Knolle Knoblauch und 100 Gramm Zwiebeln abgeben – nur dann dürfen Kinder im Comedor essen. Kontrolliert wird das von Lynn und Paulina.
Die Eltern der Kinder kochen. Auch das muss einmal im Monat von jedem Elternteil übernommen werden.

Heute ist nur eine Mutter zum Kochen gekommen, so werden Lynn und Paulina das Fehlen der zwei anderen der Organisation melden müssen. Es gibt heute eingekochte Kartoffeln und geschmolzenen Käse, dazu Reis und Salat. Das Wasser zum Trinken muss aus Gründen der Hygiene abgekocht werden.
Bis vor nicht allzu langer Zeit war der Comedor noch in einem anderen Raum untergebracht. Inzwischen ist wenigstens ein Wasseranschluss vorhanden. Das Abwasser muss aber auf den Hof geschüttet werden. Die sanitären Anlagen befinden sich in der angebauten Wohnhütte. Sie dürfen mitbenutzt werden – werden aber von den beiden Freiwilligen aus Deutschland weitestgehend gemieden.

Die Kinder begrüßen erfreut die zwei Mädchen. Doch dann fällt ihr Blick erst mal auf die eingepackten Geschenke. In zwei Tagen ist Weihnachten und Lynn und Paulina haben den Kindern eine kleine Freude bereitet: von ihrem eigenen Geld haben sie kleine Überraschungen besorgt. Doch ausgepackt wird erst nach dem Essen. Eine lange Schlange bildet sich an dem großen Plastikfass, das die zwei 19 Jährigen mit Wasser befüllt haben. Seife steht daneben. Im Vordergrund des Projektes steht nicht nur die Sicherstellung einer ausgewogenen Ernährung mit lokalen, andinen Agrarprodukten sondern auch die Schulung und Sensibilisierung zum Thema Gesundheit und Hygiene.

Das Armenviertel „la Mansion“, liegt südwestlich am Stadtrand Arequipas. Die unbefestigten Straßen ziehen sich einen steilen Hang hinauf. Am Rand der Wege häufen sich Plastik- und Aluverpackungen. In einer Ecke liegen Autoreifen in der anderen liegen verwahrloste Straßenhunde. Es riecht nach Urin und Verwesung. Die Luft schmeckt trocken, staubig. In der Siedlung leben 1500 Familien. Sie sind aus verschiedenen Regionen Perus nach Arequipa gezogen, auf Arbeit hoffend. Die meisten Familien leben hier seit über 10 Jahren. Die wenigsten Kinder haben das Privileg, die Schule zu besuchen, sie müssen die Eltern mit ihrer Arbeit finanziell unterstützen.

In vielen Fällen sind die Mädchen sehr früh schwanger, können so keine berufliche Ausbildung angehen oder müssen sie abbrechen. Die Jugendlichen werden nicht aufgeklärt, das weiß auch Lynn zu berichten. Eigens hat sie mehreren Mädchen im Alter von 10-12 Jahren gegen den Willen der Schulleitung Aufklärungsunterricht gegeben. „Ich sehe mich dazu gezwungen“ so sagt sie „den Mädchen wird jeder Kontakt zu den Jungen verboten, selbst Blumen dürfen sie nicht annehmen. Aber sie verstehen gar nicht wieso und dann ist es doch ganz normal wenn sie sich in der Pubertät ausprobieren.“ Durch das Verbot möchte man die Rate der schwangeren Minderjährigen senken. „Aber das führt nicht zu dem gewünschten Ergebnis“ Lynn versteht die Vorgehensweise nicht.

Arequipa 2018 2Das Einkommen jeder Familie in La Mansion liegt deutlich unter der Armutsgrenze. Falsche oder schlechte Ernährung sind die Folgen. Arzt- oder Krankenhausbesuche können die Familien sich nicht leisten.

Gladys, Mutter von drei Kindern, kommt regelmäßig in den Comedor zum Kochen. Sie hatte vor zwei Jahren einen schweren Autounfall. Der folgende Krankenhausaufenthalt hat die Familie in hohe Schulden gestürzt. Heute kann Gladys ihren Beruf nicht mehr ausüben. Die fünfköpfige Familie lebt in zwei kleinen Steinhütten aus Wellblechdach. Nachts ist es oft so kalt, sodass die Kinder nicht schlafen können.
Fernando, der Vater arbeitet gelegentlich als Tagelöhner. Das Geld für den Bus kann er nicht aufbringen, so läuft er morgens um drei Uhr los, um an seine 20 km weit entfernte Arbeitsstelle zu gelangen. Er kommt erst wieder zurück, wenn die Sonne schon wieder untergegangen ist.

Die Kinder lassen sich das Essen geben und setzen sich an die vier Biertischgarnituren. Auch Lynn und Paulina holen sich einen Teller voll. Inzwischen hat sich ihr Magen an die Speisen gewöhnt, anfangs hat er sich gewehrt.

Vicente, Vater von sieben Kindern, muss nicht zum Kochen in den Comedor kommen. Seine Kinder sind aber fast jeden Tag bei der Essensausgabe. Vicente arbeitet den ganzen Tag. Er muss seine Kinder allein ernähren; seine Frau ist vor zwei Jahren gestorben – ermordet von ihrem Liebhaber. Liebevoll kümmert sich der Vater um seine sieben Kinder, stößt an seine Grenzen und kann trotzdem seinen Kindern nicht so viel geben wie er gerne würde.

Selten waren die Schüler so schnell mit dem Essen fertig und machen sich gleich an das Öffnen der Geschenke. Ihre Augen leuchten als sie Plastikpuppen oder -helden, Kekse, Schokolade, Malblöcke, kleine Märchenhefte und Spielautos in den Händen halten. Im Anschluss kümmern sich die zwei deutschen Freiwilligen um die jüngeren Schüler. Die Älteren gehen zurück in den Nachmittagsunterricht. Sie spielen gemeinsam Spiele, gehen auf den Spielplatz – „die Cancha“, lesen gemeinsam oder malen.

Vormittags arbeiten Lynn und Paulina in zwei Schulen. Die eine ist in la Mansion, die andere in Villa independiente, einem mittelständischen Viertel Arequipas. Ihre Tätigkeitsfelder sind dort die (Mit-)Gestaltung des Unterrichts und die Organisation von Projekten. Sie unterrichten die Kinder in Englisch, unterstützen die Lehrer während des anderen Fachunterrichts und geben Kindern mit Lernbehinderung Hilfestellung.

Die Organisation evivo hat ihren Sitz in Tübingen. Sie bietet vor allem jungen Leuten bei kooperativen Projekten eine Organisationsstruktur – sei es im In- oder im Ausland.
Dabei werden Projekte im Bereich Entwicklungszusammenarbeit und Hilfe zur Selbsthilfe unterstützt. Im Ausland sind das Initiativen in Süd- und Mittelamerika sowie in Afrika. Seit 2013 entsendet der Verein eigens die Freiwilligen in die jeweiligen Länder. Insgesamt sind das zehn junge Erwachsene die dieses Schuljahr für evivo in fünf Ländern (Peru, Panama, Ecuador, Argentinien und Ghana) unterwegs sind.

Arequipa 2018 4Gegen 16.00 Uhr machen die Kinder sich auf den Heimweg. Die zwei Freiwilligen helfen der Mutter beim Aufräumen und Saubermachen. Sie stellen die Bänke auf die Tische und schließen die Holztür mit dem kleinen Vorhängeschloss ab. Nur 100 Meter weiter halten sie einen vorbeifahrenden Bus an. Ein paar wenige Menschen haben in dem verbeulten und rostenden aber farbigen Zehnsitzer schon Platz genommen. Rasant fährt der Fahrer an und sein Beifahrer ruft die nächsten Haltestellen laut aus.