RBG Langenau

Schuhkarton 1

Im Februar 2020 nahm die Klasse 9b des RBG an dem von der Südwestpresse Ulm angebotenen Projekt "Wir lesen intensiv" teil. Dabei ging es einerseits natürlich um das Lesen, andereseits sollten die Schülerinnen und Schüler aber auch eigene Reportage-Ideen entwickeln und mittels geeigneter Recherchen dann auch bis zum druckfertigen Artikel reifen lassen.
Hier ein Beispiel:

„Ihre Fahrscheine, bitte!“

Hektisches Suchen beginnt, wenn Andreas Ceder und seine drei Kollegen durch die Straßenbahnen Ulms gehen. Die meisten Menschen ziehen wenig später brav ihre Fahrkarten hervor, doch manche versuchen, sich auf ihrem Sitzplatz so klein wie möglich zu machen. Ganz klar: Hier gibt es einen Schwarzfahrer. Und was passiert jetzt?

Im Wesentlichen läuft jede Fahrkartenkontrolle gleich ab: Drei oder mehr Kontrolleure steigen an verschiedenen Türen in die Straßenbahn ein und stellen sich für‘s erste genau wie alle anderen Fahrgäste hin. Doch nach einer kurzen Zeit des Abwartens geben sie den Fahrgästen zu verstehen, dass nun eine Kontrolle beginnt. Anschließend laufen sie durch das Fahrzeug und prüfen die Fahrscheine der Fahrgäste. Sollte ein Schwarzfahrer darunter sein, so weisen ihn die Kontrolleure ganz ruhig auf diesen Umstand hin und stellen einen EBE aus – das Kürzel für Erhöhtes Beförderungsentgelt. „Ein Kontrolleur wird Sie nie dazu auffordern, sofort zu bezahlen.“, sagt Andreas Ceder, der Leiter der Abteilung Kommunikation und Marketing. Stattdessen bekommt der Schwarzfahrer den EBE und muss die 60 Euro Strafgebühr bis zur Frist bezahlen bzw. muss bis dahin seine vergessene Fahrkarte nachgezeigt haben. Das klappt auch meistens, doch leider gibt es nicht nur gute Menschen auf der Welt. So kam es schon häufig zu körperlichen Angriffen und die Kontrolleure müssen nicht selten einstecken. Ungefähr 15 Angriffe gibt es pro Jahr, davon müssen die Kontrolleure ca. sechs Mal ins Krankenhaus. Kein schöner Gedanke, aber der Kontrolleur, der uns begleitet hat, winkt ab. Er meint, er möge den Job, weil er aufregend sei und nicht langweilig werde. Allerdings hat er bisher auch schon so einiges über sich ergehen lassen müssen: Beide Daumen mussten bereits operiert werden, einige Rippenbrüche hat er ebenfalls erlitten und die Brille musste er schon mehrmals ersetzen. Doch seine Vergangenheit beim American Football habe ihn abgehärtet.

Inzwischen geht die Fahrt weiter, neue Fahrgäste steigen zu. Doch es gibt einige, die beim Betreten der Bahn einen der Kontrolleure entdecken, ihn erkennen und fluchtartig wieder herausspringen. Das ist sogar erlaubt: Bevor die Straßenbahn nicht losgefahren ist und damit die Leistung in Anspruch genommen wurde, dürfen die Kontrolleure nicht kontrollieren. Deshalb warten sie immer einige Sekunden, bevor sie ihren Dienst beginnen.

Außer Schwarzfahrern gibt es noch eine Zwischenstufe: Die Graufahrer. Und nicht nur das: Die meisten von uns waren sogar schon einmal Graufahrer/in. Wer seine Fahrkarte vergessen hat, zählt zu dieser Kategorie. Natürlich ist das die meist verwendete Ausrede eines Schwarzfahrers, aber die Wahrheit hinter dieser Aussage können die Kontrolleure leider nicht prüfen. Doch wenn das gute Teil wirklich zu Hause liegt, so wird auch dem Graufahrer ein EBE ausgestellt – mit dem Unterschied, dass er die Chance erhält, innerhalb einer Woche zur Zentrale zu fahren und seinen Fahrschein dort vorzuzeigen. Dann ist der Betrag, den dieser Aufwand kostet, lediglich sieben Euro. Ärgerlich, aber besser als ein Vermerk plus 60 Euro Strafgebühr. Der Fahrschein, den man vorlegen muss, darf jedoch kein Tagesfahrschein sein, sondern ein personengebundener, wie zum Beispiel die Schülermonatskarte. Nur so kann kontrolliert werden, ob die Fahrkarte auch wirklich dem Graufahrer gehört.

Uns beeindruckt besonders, wie entspannt die Kontrolleure mit diskutierenden, verärgerten oder sogar gewalttätigen Schwarzfahrern umgehen. Ein „dickes Fell“ nennt Andreas Ceder das. Er erklärt uns, dass dies auch sehr wichtig ist, weil es häufig eine deeskalierende Wirkung auf den Fahrgast hat. Außerdem müssen Dinge wie Beleidigungen, Drohungen oder Beschimpfungen einem Fahrkartenkontrolleur egal sein. Dies lernen die Kontrolleure in einer speziellen Ausbildung, zusammen mit einer Tarifausbildung und einigen Selbstverteidigungstricks, um sich für den Job qualifizieren zu können.

Eine Provision pro entdecktem Schwarzfahrer gibt es auch nicht. Andreas Ceder fände das nicht angebracht, weil die Kontrolleure sonst wie Jäger wären und nur darauf aus, Schwarzfahrer zu finden und damit mehr Geld zu kassieren. Bei Grenzfällen wie kürzlich abgelaufenen oder nicht unterschriebenen Fahrkarten würden sie kein Auge zudrücken, sondern jeden solchen Fall als Schwarzfahren identifizieren.

Auch diese informative und interessante Zeit geht schnell zu Ende und wir müssen aus der Bahn aussteigen. Die kühle Luft ist unangenehm im Vergleich zu der warmen in der Bahn und dem gemütlichen Ruckeln dort. Wir verabschieden uns und wünschen dem Team einen schönen Tag. Vielen Dank für diese wertvollen Informationen!

Jolin Wieland, 9b

Klasse 9b 2020